Die unlängst an der „Unrechtsgrenze“ zwischen Österreich und Italien von patriotischen Kräften aus allen Teilen Tirols abgehaltene Brenner-Kundgebung stand just im Zeichen der seit einigen Jahren von Südtirolern geforderten und bislang mit allerlei Ausflüchten vom offiziellen Wien abgelehnten Forderung nach Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer, Südtirol-Sprecher seiner Partei, ergriff dort das Wort, unterstrich „die große Bedeutung der doppelten Staatsbürgerschaft für die Südtiroler“ und nannte die wünschenswerte Erteilung einen „volkstumspolitischen Meilenstein in der Geschichte des Landes (…) Sollte die Freiheitliche Partei in Koalitionsverhandlungen kommen, dann wird in einer Regierungsvereinbarung die doppelte Staatsbürgerschaft drinnen sein müssen. Ansonsten wird es zu keiner Regierungsbeteiligung kommen!“ Es sind starke Worte, die Neubauer von sich gegeben hat; Worte von verbindlicher Konditionalität.
Da die FPÖ als einzige Partei diesen Wunsch, seit er von Südtiroler Seite aufkam, konsequent unterstützte, richten sich im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP die Augen derer, die ihn hegen, naturgemäß umso mehr darauf, als tatsächlich erstmals die Chance zum Greifen nahe zu sein scheint. Ruft man sich ins Gedächtnis, was sich in der Doppelstaatsbürgerschaftsfrage ereignete, seit sie gestellt worden ist, so ist eine gehörige Portion Skepsis angebracht. Denn wenngleich sie seit der Machtübernahme des Sebastian Kurz als „Die neue Volkspartei“ daherkommt, hat just die ÖVP, mit der die FPÖ die Doppelstaatsbürgerschaftsfrage erörtern muss, auf maßgebliche Weise alle bisherigen Anläufe vereitelt. Dem schloss sich die seit 1945 zwischen Brenner und Salurner Klause regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) – namentlich unter ihrer jetzigen, eher italo- denn austrophilen Führung – an.
Dabei waren es der vormalige SVP-Obmann Siegfried Brugger sowie sein Parteifreund und Abgeordnetenkollege in der römischen Kammer Karl Zeller – beide Juristen und Anwälte —, die im Dezember 2009 im Einklang mit den im Bozner Landtag vertretenen deutschtiroler Oppositionsparteien sowie den österreich-patriotischen Kräften (namentlich Schützenbund und Heimatbund) Südtirols den Wunsch in die Öffentlichkeit trugen und in Wien deponierten. Begründung: Juristisch sei dies über eine Ausnahmeregelung im österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht ohne weiteres möglich; immerhin ermögliche just Italien ethnischen Italienern überall auf der Welt die Doppelstaatsbürgerschaft. Und das novellierte italienische Staatsbürgerschaftsgesetz erlaube ausdrücklich den Erwerb einer zweiten Staatsbürgerschaft, ohne dass sie die italienische abgeben müssten.
Umfaller und Bremser
Aus berufenem Munde war zu erfahren, dass Brugger vom ÖVP-Granden und gebürtigen Südtiroler Andreas Khol, mit dem er seinerzeit die Angelegenheit besprach, zunächst „in geradezu euphorischer Weise“ Zustimmung sowie dessen Unterstützungszusage erhielt. Doch wenig später galt dies nicht mehr: Eine Doppelstaatsbürgerschaft würde Italien provozieren, dem Pariser Abkommen von 1946 zuwiderlaufen und sich nachgerade als „gefährlich“ erweisen. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter hatte zudem das Verlangen, welches selbstredend auch sein Südtiroler Pendant Luis Durnwalder damals unterstützte, als „Vorwand für eine neuerliche Diskussion um die Verschiebung der Staatsgrenzen“ qualifiziert. Nicht zuletzt brachte der damalige ÖVP-Bundesparteiobmann, Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger seine ablehnende Haltung zum Ausdruck: Man dürfe „keine falschen Hoffnungen wecken“.
Bald darauf übergaben die Südtiroler Landtagsabgeordneten Eva Klotz und Sven Knoll in Wien 22.500 Unterstützungsunterschriften an die Abgeordneten Neubauer (FPÖ), Herrmann Gahr (ÖVP), Gerhard Huber (BZÖ) und Alexander van der Bellen (Grüne). Im April 2011 ließ das Bundeskanzleramt die Initiatoren der Unterschriftensammlung wissen ließ, dass gegen eine Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler „keine allgemein verfassungsrechtlichen Bedenken“ bestünden. Und Ende Mai 2011 stellte der Innsbrucker Verfassungsrechtler Walter Obwexer ein Gutachten zum Thema vor, das zu erstellen ihn just die SVP beauftragt hatte. Er kam darin zu dem Schluss, weder völkerrechtlich, noch auf EU-Ebene gebe es rechtliche Hindernisse für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Südtiroler. Schließlich sprach sich der Südtiroler Landtag am 9. März 2012 mit großer Mehrheit für die Doppelstaatsbürgerschaft aus.
Doch die darauffolgende Wiener Entscheidung enttäuschte alle, die sich in der Causa engagiert hatten. Am 5. Juli 2013 legte nämlich der von Außenminister Spindelegger vorgelegte „Bericht an den Nationalrat“ in aller Deutlichkeit offen, dass die österreichische Bundesregierung eine Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler nicht wünschte. Entgegen den aus dem Südtirol-Unterausschuss bekannten Einlassungen der Rechtsexperten hieß es darin: „Die Einführung eines vereinfachten Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen“ sei mit „völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Hürden verbunden“. Woraufhin die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP im Verein mit den Grünen den FPÖ-Antrag abschmetterten, den Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft einfachgesetzlich mittels geringfügiger Korrektur des geltenden Staatsbürgerschaftsgesetz zu ermöglichen. Sodann rückte auch die SVP im juvenilen politischen Gleichklang zwischen dem (mittlerweile zum neuen ÖVP-Obmann avancierten) Außenminister Sebastian Kurz und dem mit ihm befreundeten Politjungstar Philipp Achammer an der Spitze der „Schwesterpartei“ von der ursprünglichen Zielsetzung ab. Daran hat sich bis zur Stunde nichts Wesentliches geändert.
Wessen Interessen?
In politischen Sonntagsreden heißt es meist, Südtirol sei eine „österreichische Herzensangelegenheit“. Dennoch wurde dem Doppelstaatsbürgerschaftswunsch in Wien nicht entsprochen. Man wird kaum fehlgehen, SPÖ, ÖVP und SVP zu unterstellen, das Verhältnis zu Rom gegenüber der Schutz(macht)pflicht für die Tiroler unterm Brenner als vorrangig zu erachten. Ein solches Verhalten untergräbt Identität und Österreich-Orientierung der Südtiroler und spielt dem von Italien seit der Annexion im November 1918 verfolgten Plan in die Hände, sie – trotz vielgepriesener (aber immer wieder von römischer Aushöhlung geschwächter) Autonomie – zu assimilieren und damit die seit dem Mussolini- Faschismus erstrebte „ewige Italianità“ des seit gut 1200 Jahren dem deutsch-österreichischen Kulturraum zugehörigen Landstrichs zu erlangen. Die grundsätzliche Frage, welche Interessen für Wien wichtiger sind, die der Südtiroler oder jene der römischen Politik, stellt sich daher auch der neuen Bundesregierung. Beantworten müssen sie die künftigen Koalitionspartner.
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