Kommt ein Flüchtling nach Deutschland, wird er zunächst in den sogenannten Landeserstaufnahmeeinrichtungen des jeweiligen Bundeslandes betreut. Später lebt er dann entweder in einer kommunalen Gemeinschaftsunterkunft oder direkt in einer Wohnung im Ort. Dann ist diese Kommune, also die Stadt oder Gemeinde, aus Verwaltungssicht für den Geflüchteten verantwortlich.
Niedersachsen: „Hier sind die Kommunen auf sich allein gestellt“
„Im Prinzip werden die Kommunen bei uns in Niedersachsen relativ alleine gelassen mit dem Problem“, so Jan-Christoph Oetjen, Abgeordneter der FDP im Landesparlament von Niedersachsen, gegenüber Sputnik. „Da sind traumatisierte Flüchtlinge, um die sich die Kommunen kümmern müssen. Es gibt keine standardisierten psychologischen Beratungskonzepte. Das führt dazu, dass das in den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt wird. In den städtischen Räumen gibt es zwar Strukturen für die Betreuung von Flüchtlingen, aber im ländlichen Raum bleibt das auf der Strecke.“
Er setze sich gemeinsam mit seiner Landtagsfraktion schon seit langem politisch für eine Verbesserung der Situation ein: „Wir stehen in ständigem Kontakt mit den kommunalen Spitzenverbänden. Beispielsweise hat der niedersächsische Städte- und Gemeindebund Anfang Juni auf einer Tagung gefordert, dass das Land deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen muss für die soziale Betreuung der Flüchtlinge. Diese Betreuung beinhaltet Deutschunterricht, Integration in den Arbeitsmarkt und andere soziale Maßnahmen. Hier sind die Kommunen auf sich allein gestellt. Doch sie benötigen Unterstützung, denn die Kommunen sind am dichtesten an den Flüchtlingen dran.“
„Die Kosten für die Betreuung von Flüchtlingen werden für die Stadt Hannover etwa zur Hälfte durch Landes- und Bundeszuschüsse gedeckt“, teilte Alexis Demos, Pressesprecher der niedersächsischen Landeshauptstadt, auf Sputnik-Anfrage mit. „Die Stadt hat zusätzliche Mittel bereitgestellt, um eine adäquate Unterbringung und umfangreiche Erstbetreuung gewährleisten zu können, um auch Sozialarbeiter in den Einrichtung und das Integrationsmanagement der Stadt zu unterstützen.“ Hannover verfolge Grundsätze für die Unterbringung von Flüchtlingen, die für alle städtischen Unterkünfte gelten. Diese Aufgaben würden von externen Betreibern übernommen. „Die bis dato gesammelten Erfahrungen mit den einzelnen Betreibern sind positiv“, heißt es weiter in der Antwort von der Pressestelle der Stadt Hannover.
Sachsen: „Finanzmittel vom Land sind nicht ausreichend“
„Die Selbstmorde müssen bei uns stärker politisch beleuchtet werden“, so Jule Nagel, Landtagsabgeordnete der Linken im sächsischen Landtag, gegenüber Sputnik. „In den Kommunen, wo die Flüchtlinge nach der Erstaufnahmezeit ankommen, beginnt die eigentliche Hauptarbeit: Bildung, Arbeitssuche, soziale Kontakte, medizinische und psychologische Betreuung. Ich sehe als Landespolitikerin, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen, für die der Freistaat Sachsen zuständig ist, viel zu wenig passiert.“
Ihre Partei fordere schon länger bessere Betreuung und bessere Methoden zur Erkennung von psychischen Problemen bei Flüchtlingen, die in solchen Einrichtungen untergebracht sind. Diese Forderungen entsprächen zum Teil der EU-Aufnahmerichtlinie, laut der Linkspolitikerin.
Die sächsische Stadt Leipzig teilte uns auf Anfrage mit, dass die bereitgestellten Finanzmittel nicht ausreichen würden. „Die Finanzierung von sozialer Betreuung und Unterbringung von Flüchtlingen erfolgt zum Großteil durch die Stadt Leipzig aus eigenen Haushaltsmitteln“, teilte Leipzigs Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst gegenüber Sputnik mit. „Seit 2015 erhält die Stadt zur Deckung ihrer Aufwendungen finanzielle Unterstützung vom Freistaat Sachsen auf Grundlage der Richtlinie ‚Soziale Betreuung Flüchtlinge‘. Diese Einnahmen sind jedoch nicht auskömmlich.“
Sachsen-Anhalt: „Viele Sachen könnten Land und Bund übernehmen“
„Es braucht weit mehr finanzielle Unterstützung für die Kommunen bei uns“, sagte Stefanie Mürbe, Pressesprecherin vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt in Magdeburg, im Sputnik-Interview. „Es gäbe Stellschrauben, die auf jeden Fall von Seiten des Landes gewährleistet werden könnten. Beispielsweise eine bessere Ausstattung und Finanzierung der zwei Psychosozialen Zentren für Geflüchtete in Magdeburg und Halle an der Saale. Solche Einrichtungen werden finanziell vom Land unterstützt, aber diese Mittel reichen bei weitem einfach nicht aus. Wir warten hier in Sachsen-Anhalt immer noch auf die Gesundheitskarte. Das sind alles Sachen, die könnte das Land übernehmen. Auch der Bund könnte hier mehr Unterstützung leisten.“
Wir haben bei der Stadt Magdeburg folgende Anfrage gestellt: „Inwiefern wird die Kommune Magdeburg bei der Betreuung von Asylbewerbern und Flüchtlingen vom Bund und vom Land unterstützt? Können Sie den Vorwurf vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, Kommunen würden in Sachsen-Anhalt ‚im Stich gelassen‘, bestätigen oder dementieren?“ Von der Pressestelle der Landeshauptstadt lag bis Redaktionsschluss keine Antwort zu unserer Anfrage vor. Die Fachkräfte der zuständigen Abteilung seien „im Urlaub oder anderweitig eingebunden“, hieß es von einem Mitarbeiter der städtischen Pressestelle Magdeburg.
Alexander Boos
Das komplette Interview mit Jan Oetjen (FDP) zum Nachhören:
Das komplette Interview mit Jule Nagel (LINKE) zum Nachhören:
Das komplette Interview mit Stefanie Mürbe (Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt) zum Nachhören:
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