Thomas Ahbe beschreibt in seinem Werk den Prozess der Wiedervereinigung und wie die Ostdeutschen das Steuerrad aus der Hand gegeben haben.
„Die Ostdeutschen haben nicht nur ihre Arbeit verloren, sondern sie haben den Eindruck, ihre Identität und Würde eingebüßt zu haben. Sie wurden von den Medien des vereinigten Deutschlands in einer Art dargestellt, wo sie sich nicht wiederfanden. Das vereinigte Deutschland war plötzlich wieder gespalten – in westdeutsche Sanierer und Liquidatoren der Betriebe und in ostdeutsche Arbeitslose, in westdeutsche Vermieter und in ostdeutsche Mieter, in westdeutsche Richter und Staatsanwälte und in ostdeutsche Angeklagte.“
Für sie greife diese Klassifizierung, wer jetzt ostdeutsch und wer westdeutsch sei, nicht mehr, schreibt er weiter. „Allein schon durch den Generationswandel werden wir nach und nach eine immer stärkere gesamtdeutsche Bevölkerung haben.“ Für seine Kinder bleibe die Ostalgie nur noch vom Hörensagen und später für deren Kinder eine historische Reminiszenz. Insofern meint der Professor für Neuere und Neueste Geschichte in Münster, dass sich dieses Ostalgie-Problem letztendlich erledigt habe. Das bedeute aber nicht, „dass es nicht trotzdem in Ostdeutschland nach wie vor ein Regionalbewusstsein gibt“.
Ahbe stellt die Behauptung auf, dass die Ostdeutschen die schweren Zeiten schon hinter sich hätten. Vieles habe sich verbessert, so der Publizist, obwohl nicht alle Landschaften in Ostdeutschland blühen. Jedoch gebe es aus seiner Sicht aufgrund dieser schwierigen Umbruchsphase noch Altersarmut. Diese Umbruchphase zeige sich auf dem Rentenzettel. „Das Risiko, in Altersarmut zu fallen, ist für Leute in Ostdeutschland um ein Vielfaches höher, als für Menschen in den alten Bundesländern. Damit haben wir noch einmal das Problem, das wir eigentlich vermeiden wollten, nämlich, dass es wieder eine Spaltung gibt.“
Großbölting schlägt vor, darüber nachzudenken, was von dieser Ostalgie noch übrigbleibe. „Zwei moderne Industrieländer gingen unterschiedliche Wege. Welche Lehren kann man daraus ziehen? Gibt es ein Erbe? Die DDR war nicht nur ein Stasi-Staat. Welche kulturellen Querelen gab es?“
Thomas Ahbe liefert dafür eine Antwort:
„Es trafen Menschen aufeinander, die 40 Jahre lang anders sozialisiert wurden. Dabei gab es in Westdeutschland etwa die Vorstellung, dass man nur die Diktatur von den Ostdeutschen wie eine Regenpelerine ablegen muss, dann kommen ganz normale Menschen, nämlich Westdeutsche hervor.“
Im Prinzip seien die Ostdeutschen kollektivistischer und konsensueller sozialisiert worden, behauptet Ahbe. „Die Rolle des Kollektivs, wie es damals hieß, des Teams, der Gruppe, war wichtiger, als selbst im Rampenlicht zu stehen, während die Sozialisationsformen in der Bundesrepublik viel individualistischer und kompetitiver waren. Man brachte sich stärker in Konfrontation zur Außenwelt und fand das auch wertvoll.“
Thomas Ahbe weiter: „All diese Sozialisationsweisen funktionieren gut, solange man zu Hause bleibt. Solange man seinen Sozialisationsraum nicht verlässt, gibt es keine kulturellen Missverständnisse. Erst in dem Moment, als 1990 sozusagen die beiden Laborkäfige geöffnet wurden und die Populationen aufeinandertrafen, machten sich die Unterschiede bemerkbar. Die Ostdeutschen sagten über die Westdeutschen, sie seien arrogant und egoistisch, und die Westdeutschen über die Ostdeutschen, sie seien feige und anpasserisch.“
Der Buchautor bedauert, dass die Ostdeutschen in den 90er-Jahren nicht gewürdigt wurden und behauptet, „die Dämonisierung der DDR führte dazu, dass die Ostalgiewelle so populär geworden ist.“
Zum Schluss wollte das Moskauer Publikum wissen, ob Humor die deutsche Nation immer noch trenne oder zusammenführe, ob wirklich zusammengewachsen sei, was zusammengehöre.
Thomas Großbölting hat vier Kinder. Zwei sind in Münster geboren, die anderen zwei in Berlin, also Ostkinder. Er erläutert: „Viele deren Scherze finde ich ungemein komisch, bei verschiedenen verstehe ich jedoch überhaupt nicht, was daran lustig ist. Für mich ist es in vieler Hinsicht eher ein Generationsproblem. Ich glaube, dass es Redewendungen und Humor gibt, die für den Osten spezifisch sind. Die Rheinländer lachen anders als die Westfalen und die Sachsen anders als Thüringer. Mit zunehmender Zeit werden die Unterschiede geringer.“
Nikolaj Jolkin
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