Es war schon eine sehr gewagte Initiative, die die US-Geheimdienste in den frühen 1990er-Jahren gestartet hatten. Gemeinsam mit führenden Hochschulen und Firmen des Silicon Valley suchten die Spionagebehörden nach der besten Möglichkeit, Aktivitäten von Gruppen und Personen im damals gerade erst entstehenden Internet nachzuverfolgen.
Eine Onlineumgebung sollte geschaffen werden, die dem Wunsch der Behörden genügen würde, ungeheure Datenmengen über ganz normale Bürger zu sammeln und auszuwerten.
Diese Zusammenarbeit war dazu bestimmt, zusätzlich zu den Grundlagen eines neuen supraglobalen Überwachungsstaats einige führende Firmen zu etablieren, die heute von größter Bedeutung sind – darunter auch Google.
Keine Verbindung zwischen CIA und Google?
1993 war es soweit: Gemeinsam starteten die US-Geheimdienste ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm namens Massive Digital Data Systems, kurz MDDS. Das Programm wurde führenden Computerwissenschaftlern an Elitehochschulen wie CalTech, Harvard, MIT und Stanford präsentiert.
In einem Whitepaper stellten die Behörden die Herausforderungen dar, vor denen sie standen, und die Ziele, die sie erreichen wollten. Die Tatsache, dass die Anforderungen sich veränderten, erfordere von der IC – der Intelligence Community (mit diesem smarten Begriff bezeichneten die US-Geheimdienste ihren Verbund), „unterschiedliche Typen und größere Mengen an Daten“ zu verarbeiten, hieß es in dem Schriftstück. Und weiter:
„Konsequenterweise nimmt die IC eine proaktive Rolle dabei ein, die Forschung im effizienten Management massiver Datensätze voranzubringen und sicherzustellen, dass die Anforderungen der IC in kommerziellen Produkten integriert oder adaptiert werden können. […] Das Community Management hat eine Arbeitsgruppe zu Massive Digital Data Systems beauftragt, diese Anforderungen anzugehen und mögliche Lösungen zu identifizieren und zu evaluieren.“
Zu diesem Zweck vergeben die Geheimdienste über die Nationale Wissenschaftsstiftung (National Science Foundation, kurz NSF) Fördergelder in Millionenhöhe an mehrere Hochschulteams – mit dem Ziel: digitale Fingerabdrücke von Gruppen und Personen identifizieren, deren Suchanfragen nach Bedeutung ordnen und listen, jedwede relevanten aus der Datenflut erkennbaren Verhaltensmuster entziffern, um letztlich deren künftige Digitalspuren verfolgen zu können.
Im Erfolgsfall würden die innerhalb der Hochschulen mit den Fördergeldern geschaffenen Strukturen in die Privatwirtschaft ausgelagert. Für sehr viele Tech-Startups war das die Chance ihres Lebens – und bald würde auch Google zu den Glücklichen gehören.
Eines der MDDS-Förderstipendien ging an ein Computerforscherteam an der Stanford University. Dessen ursprüngliches Ziel war die Entwicklung von „Techniken zur Anfragenoptimierung bei sehr komplexen Anfragen mittels des Query-Flocks-Ansatzes“.
Die Nachrichtendienste hatten dieses Team bereits auf dem Schirm, weil sie Fördergelder von der NSF und der DARPA, einer Forschungseinrichtung des US-Militärs, erhalten hatten, um an dem Aufbau einer umfassenden und über das Internet erreichbaren Digitalbibliothek zu arbeiten.
Unter den Fachleuten dieses Teams waren zwei Studenten, die im Bereich des Webseitenrankings und des Anfragetrackings bereits Pionierarbeit geleistet hatten: Sergey Brin und Larry Page.
Die Forschungsarbeit, die sie mit den Fördergeldern leisteten, sollte mit der Zeit den Kern ihrer eigentlichen Erfindung ausmachen. Google war als Programm, welches sehr spezifische Informationen aus einem enormen Datenbestand heraussuchte, im Grunde genau das, was die CIA und die NSA erschaffen wollten.
Während der Arbeit an der Suchmaschine berichtete Brin regelmäßig an Dr. Bhavani Thuraisingham und Dr. Rick Steinheiser über den Entwicklungsstand. Doch hatte keiner der beiden eine Verbindung zu Stanford.
Dr. Thuraisingham war ein Mitarbeiter von MITRE Corp., ein F&E-Unternehmen, welches im Auftrag von NSA, CIA und den Forschungsabteilungen der US-Luftwaffe und —Marine arbeitete. Dr. Steinheiser war unmittelbar bei der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der CIA tätig.
„Der Google-Gründer Sergey Brin wurde als Doktorand in Standford teilweise von diesem Programm mitfinanziert. Gemeinsam mit seinem Mentor Prof. Jeffrey D. Ullman und meinem MITRE-Kollegen Dr. Chris Clifton entwickelte er das Query-Flocks-System, aus dem dann Lösungen zur Suche großer Datenmengen aus großen Datenbeständen hervorgingen“, schrieb Thuraisingham.
„Ich erinnere mich an einen Besuch in Stanford gemeinsam mit Dr. Rick Steinheiser, als Brin auf Rollerblades hereinraste, seine Präsentation abhielt und wieder herausstürzte. Tatsächlich stellte Brin uns beim letzten Treffen im September 1998 seine Suchmaschine vor, die wenig später zu Google geworden ist“, so der Wissenschaftler.
Lügen durch Lücken?
Der Verdacht, die CIA habe bei der Erschaffung von Google auf die eine oder andere Weise mitgeholfen, ist so alt wie das Unternehmen selbst. Und es ist eine Behauptung, die das Unternehmen immer wieder in aller Schärfe zurückweist.
Beispielsweise wurde 2006 umfassend berichtet, Google unterhalte eine langjährige Beziehung zu US-Geheimdiensten, von denen der Konzern in seiner ganzen Zeit Gelder erhalten habe. Ein Konzernsprecher stritt den Vorwurf vehement als „komplett unwahr“ ab.Mehr noch: In der offiziellen Unternehmensgeschichte findet sich kein Bezug zum MDDS-Förderstipendium, wobei jedoch die Fördergelder von NSF und DARPA erwähnt werden. Auch lässt die Stanford-Darstellung der Google-Anfänge das MDDS-Programm unerwähnt.
Es heißt lediglich, die Entwicklung der Google-Algorithmen habe auf mehreren Computern stattgefunden, die hauptsächlich im Rahmen des Stanford-Projekts zur Entwicklung der Digitalbibliothek bereitgestellt wurden, welches von der NSF, DARPA und NASA finanziert worden sei.
Auch die von der Wissenschaftsstiftung NSF verbreitete Geschichte „Über die Ursprünge von Google“ bezieht sich lediglich auf die NASA und DARPA. Ebenso wird in der Forschungsschrift von Sergey Brin über die Entwicklung von Google das MDDS-Programm mit keinem Wort erwähnt.
Hätte es die Aussage von Dr. Thuraisingham nicht gegeben, gäbe es in der Öffentlichkeit in der Tat kaum einen Hinweis auf die an Brin und Page vergebenen MDDS-Fördergelder.
Und in einem Forschungspapier von Brin und Page als Co-Autoren ist die Rede davon, dass Brin „teilweise vom MDDS-Programm mit einem NSF-Förderstipendium finanziert wurde“.
Alle Kommentare
neue Kommentare anzeigen (0)
Antwort an(Kommentar anzeigenKommentar ausblenden)