Die Normalisierung der türkischen Beziehungen zu Israel hat einen Konflikt zwischen dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und der der regierenden AKP nahen „Stiftung für Menschenrechte, Freiheiten und Humanitäre Hilfe (İHH)" verursacht, die vor sechs Jahren das Schiff „Mavi Marmara" mit Hilfsgütern an die Küste des Gaza-Streifens geschickt hatte. Die Vertreter der Stiftung haben das Abkommen über die Normalisierung der Beziehungen zu Israel einer scharfen Kritik unterzogen.
Im Gegenzug hat Erdoğan seinerseits die Stiftung ebenfalls heftig kritisiert. „Hattet ihr mich etwa gefragt, bevor ihr euch mit Hilfsgütern auf den Weg gemacht habt? Wir haben sowieso immer alle erforderliche Hilfe dorthin geschickt", sagte er. Vor zwei Jahren aber, als Erdoğan noch Ministerpräsident der Türkei gewesen war, hatte er behauptet, er habe persönlich die Abfahrt des Schiffes genehmigt.
Laut Gergerlioğlu ist der Konflikt auf den Wechsel in der türkischen Außenpolitik zurückzuführen.
In der letzten Zeit habe Erdoğan sich davon überzeugen müssen, dass seine Pläne zur Wiederherstellung des Osmanischen Reiches gescheitert seien, so Gergerlioğlu. Wahrscheinlich hätten Erdogans Berater ihn hinter verschlossenen Türen gewarnt, dass die Politik der Türkei gegenüber Syrien, Ägypten, Russland und Israel zutiefst uneffektiv sei und revidiert werden müsse. Schließlich habe der türkische Staatspräsident die außenpolitische Strategie wechseln müssen.
„Die Abfahrt des Schiffes „Mavi Marmara" war ein Muskelspiel gegenüber Israel", so Gergerlioğlu weiter. Es sei durchaus klar gewesen, dass hinter dieser Aktion die Staatsführung gestanden habe, obwohl sie behauptet habe, es sei eine Aktion der Zivilgesellschaft gewesen. Dann seien zehn Menschen beim Angriff der israelischen Spezialeinheiten auf das Schiff ums Leben gekommen und die Türkei habe ihre „harte und unversöhnliche Position" gegen Israel angekündigt — letzten Endes habe es sich jedoch herausgestellt, dass „heroische Rhetorik" und die Neoosmanismus-Träume nicht das gewünschte Resultat bringen würden.
Das Abkommen mit Israel über die Normalisierung der Beziehungen hält Gergerlioğlu für eine Niederlage der Türkei, da sie mit der Unterzeichnung des Abkommens faktisch die Rechtmäßigkeit der Besetzung des Gaza-Streifens anerkannt habe. Die Türkei habe akzeptiert, dass die humanitäre Hilfe ab dem Hafen Aschdod von der israelischen Seite zugestellt werde. Dabei könne der Ausdruck "humanitäre Hilfe" vom rechtlichen Gesichtspunkt aus Israel zu nichts verpflichten, betonte Gergerlioğlu, diese Fassung sichere israelische Interessen und stelle bestimmte Garantien für es sicher. "Man sagt aber den einfachen türkischen Bürgern natürlich nichts über diese Details", sagte er.
Das Problem dabei sei, dass die Kritik, die Erdogan gegenüber der Stiftung İHH geäußert habe, den konservativeren Teil der Anhänger der regierendern Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) bestimmt enttäuscht habe, da das Thema der Beziehungen zu Israel für die AKP-Wählerschaft von Bedeutung sei. Die İHH sei für ihre AKP-Nähe bekannt, und die Spannung zwischen den beiden Organisationen könne sich in Auseinandersetzungen, lautstarke Erklärungen und Gerichtsprozesse auswirken.
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