Als Gastredner trat dann ein Mann an das Rednerpult, den Beobachter vorher eher nicht bei einer Veranstaltung der Linkspartei erwartet hätten: Bundestagspräsident und CDU-Politiker Norbert Lammert. Nach dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Sommer verfolge Erdogan nun einen eigenen Putsch gegen die türkische Verfassung, so Lammert:
„Und dies mit dem systematischen aushebeln der Regelungen des eigenen politischen Systems. Die Umwandlung einer zweifellos fragilen, aber demokratischen Ordnung in ein autoritäres System. Und dieser zweite Putschversuch droht erfolgreich zu sein.“
„Entsetzt hat mich die faktische Selbstauflösung eines gewählten türkischen Parlaments, das allerspätestens nach der Verhaftung eigener Mitglieder den Aufstand gegen die eigene Regierung hätte proben und durchführen müssen.“
Zu Erdogans Ankündigung, es könnte nach dem Verfassungsreferendum ein weiteres Referendum über die EU-Beitrittsverhandlungen geben, sagte Lammert: Dieses zweite Referendum scheine ihm verzichtbar.
Deutlich provokanter formulierte Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht auf der Veranstaltung ihre Gedanken zur Entwicklung in der Türkei:
„Die Strategie von Erdogan ist es, dass alle die nicht seiner Meinung sind, außerhalb des demokratischen Diskurses gestellt werden. Also wird der politische Gegner in der Türkei als Terrorist deformiert. Die deutsche Regierung und auch andere Regierungen in Europa, die die türkische Regierung zu kritisieren wagten, werden als Faschisten und Nazis abqualifiziert.“
Vor allem von den bei der Veranstaltung anwesenden türkischen Oppositionspolitikern erntete Wagenknecht dafür Applaus. Eingeladen waren unter anderem der ehemalige CHP-Abgeordnete Melda Onur, oder der Journalist Can Dündar, dem weiterhin eine Haftstrafe in der Türkei droht.Schließlich bezog sich Wagenknecht in ihrer Rede auf einen Satz, den Präsident Erdogan vor wenigen Tagen in Ankara gesagt hatte, dieser lautete: "Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können.“ Laut Wagenknecht könne man solch einen Satz nur in eine Richtung deuten:
„Das ist der Aufruf zum Terrorismus. Da spricht ein Terrorist, nichts anderes ist das.“
„Nämlich gegen die Kurden im Land. Man muss wissen, dass die Hochburgen der Kurdenpartei HDP im wahrsten Sinne des Wortes plattgemacht wurden. Man hat dort eine Vertreibung vorgenommen, man hat diese Städte zum Teil bombardiert.“
Dort schaffe die türkische Regierung nun teilweise eine Freiflächen, um in dieser Region syrische Flüchtlinge anzusiedeln.
Bei der geplanten Verfassungsreform in der Türkei geht es um eine starke Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten Erdogan. In Deutschland sind bei dem Verfassungsreferendum rund 1,4 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen — mehr als in jedem anderen Land außerhalb der Türkei. Für Ulla Jelpke kann es bei der Abstimmung nur eine richtige Antwort geben:„Ich bin natürlich für ein ganz klares Nein zum Präsidialsystem. Auch, weil es einem verrückten Despoten Erdogan so viel Macht gibt, dass er noch mehr Demokratie in der Türkei abschaffen kann und meines Erachtens auch abschaffen wird.“
Abgerundet wurde die Veranstaltung „Quo vadis Deutschland – Türkei“ am Montag durch eine verlesene Botschaft des in der Türkei inhaftierten Vorsitzenden der prokurdischen HDP, Selahattin Demirtas, der seinen politischen Mitstreitern Mut zusprach.
Bericht und Interview: Marcel Joppa
Reportage:
TI Jelpke:
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