„Ich kann Ihnen sagen: Wirtschaftsspionage hat weder in der Vergangenheit zu den Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes gehört, noch ist dies gegenwärtig der Fall.“ Das behauptete am Montag der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert. Er erklärte das auf der regulären Regierungspressekonferenz auf Fragen von Journalisten zu Berichten, der BND würde in Österreich spionieren. Seibert betonte, er könne den „Sachverhalt, über den berichtet wurde, an dieser Stelle weder bestätigen noch dementieren“.
Und: „Österreich ist ein guter Freund unseres Landes, und wir sind hoffentlich auch gute Freunde der Österreicher“, meinte der Regierungssprecher. Das war seine Antwort auf die Frage, ob die Aussage von Kanzlerin Angela Merkel 2013 im Zuge des NSA-Abhörskandals weiter gelte: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“
Ignorierte Erkenntnisse
Die Nachricht, dass der Bundesnachrichtendienst seit den 1990er Jahren ganz aktiv in Österreich spioniert, sorgt weiter für Aufmerksamkeit. Die österreichische Zeitung „Der Standard“ und das Wiener Magazin „Profil“ hatten am Donnerstag einen Bericht über entsprechende Erkenntnisse veröffentlicht. Sie stellten fest: „Der BND nahm Ministerien in Wien, Firmen, internationale Organisationen, islamische Einrichtungen ebenso wie Terrorverdächtige und Waffenhändler ins Visier. Selbst für Universitätsprofessoren interessierte sich der Geheimdienst. Sie alle wurden elektronisch ausgespäht.“

Aktive Wirtschaftsspionage
Danach gehörte und gehört die Wirtschaftsspionage sehr wohl zum Aufgabengebiet auch des BND. Ko-Autor Schmidt-Eenboom erklärte 2017 gegenüber Sputniknews: „Der Bundesnachrichtendienst wurde beispielsweise auch in Italien zur Wirtschaftsspionage eingesetzt, als es darum ging, ein deutsches Farbfernsehsystem gegenüber dem französischen durchzusetzen.“ Dafür gibt es weitere Beispiele nachzulesen. In dem Buch wird unter anderem aus einem Vortrag von 1969 des damaligen Leiters der BND-Zentralabteilung, Eberhard Blum, zitiert. Der sagte, dass die „Sicherheits- und Bündnispolitik, Deutschlandpolitik, Außenhandels- und Entwicklungspolitik“ zu den bedeutendsten Dienstleistungen des BND für die Bundesregierung gehörten.
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Auch Seiberts Hinweis auf die Freundschaft der Bundesrepublik zu Österreich, die gegen eine Spionage spreche, passt in dem Zusammenhang nicht zu den Fakten. „Dass der BND Ziele in Österreich bespitzelt, ist schon seit 2015 bekannt“, erinnerte der Standard am Donnerstag. „Im Zuge der Snowden-Affäre wurde öffentlich, dass der deutsche Geheimdienst die iranische Botschaft und das Innenministerium überwacht.“ In dem Buch von Franceschini, Friis und Schmidt-Eenboom beschäftigt sich ein ganzes Kapitel mit dem Thema „Österreich als Operationsbasis und Einflussbereich“.
Österreichische Ziele
BND-Gründer Reinhard Gehlen habe nicht nur das Ziel gehabt, „nachhaltigen Einfluss auf die Dienste der Alpenrepublik auszuüben“. Im Buch wird ebenfalls daran erinnert, dass 2015 Abhörmaßnahmen des BND selbst gegen das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bekannt wurden. „Die nachrichtendienstlichen Angriffe stehen in einer langen Kette von Attacken auf die Sicherheitsbehörden der Alpenrepublik, die sich zunächst auf Maulwürfe Pullachs in ihnen stützte.“ Der BND habe seine Agenten in Schlüsselpositionen des österreichischen Staats- und Regierungsapparates platzieren können, und sogar in der Wiener Handelskammer.
Es habe immer wieder Probleme zwischen Berlin und Wien gegeben, weil sich der BND bei seinen Operationen in Österreich verhalten habe, „als ob das Nachbarland sein eigener Hinterhof sei“. Die Autoren verweisen zudem auf MfS-Akten aus den 1980er Jahren, die zeigen, „dass Pullach die Wirtschaftsbeziehungen Österreichs zur DDR im Blick hatte“. Entsprechende Vereinbarungen zwischen Wien und Ost-Berlin seien dem BND sogar ein „Dorn im Auge“ gewesen und als „unfreundlicher Akt“ gewertet worden – weil der BRD-Wirtschaft dadurch „ein fast sicheres Geschäft“ entgangen sei. Auch die Namen der zuständigen BND-Offiziere für die Überwachung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und der BRD werden im Buch genannt.
US-amerikanische Vorwürfe

Der US-Journalist Peter Schweizer hatte bereits 1993 in seinem Buch „Friendly Spies“ geschrieben, der BND höre mit Unterstützung der Telekom die transatlantische Geschäftskommunikation ab. Seit Mitte der 1960er Jahre gebe es bundesdeutsche Wirtschaftsspionage durch den Geheimdienst gegen befreundete Staaten. Sie sei zumeist durch Agenten erfolgt, die Forschungseinrichtungen und Unternehmen in den USA, Frankreich, Großbritannien und Italien ausspioniert hätten. Schweizer zitierte den ehemaligen französischen Geheimdienstchef Pierre Marion, demzufolge der bundesdeutsche Auslandsgeheimdienst umfangreich Informationen in den Bereichen Wirtschaft, Technologie und Industrie sammle. Dies habe für die BND-Führung zu den zentralen Aufgaben gehört.
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Der heutige Regierungssprecher und frühere Journalist Steffen Seibert ignoriert solche Erkenntnisse. Sicher muss er das tun. Das macht seine falschen Aussagen aber nicht besser. Ein Lesetipp für ihn:
Christoph Franceschini / Thomas Wegener Friis / Erich Schmidt-Eenboom: „Spionage unter Freunden – Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND“
Ch. Links Verlag 2017; ISBN: 978-3-86153-946-9; 377 Seiten; 30 Euro
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