Im Österreichischen Rundfunk liegt ein Entwurf für Social-Media-Richtlinien vor: Demnach sollen Mitarbeiter des Rundfunks künftig Äußerungen in den Netzwerken vermeiden, die als Zustimmung, Ablehnung oder anderweitige Positionierung gegenüber Politikern oder Organisationen interpretierbar sind. Selbst vor Likes macht diese Richtlinie nicht Halt. Auch private Äußerungen – da kaum von der Tätigkeit des Journalisten zu trennen – seien zu vermeiden. „Im Zweifel“, heißt es, soll lieber gar keine Meinung geäußert werden.
Journalisten Club: „Ein Kniefall vor der FPÖ“
Als einen „massiven Eingriff in die freie Meinungsäußerung“ bezeichnet Fred Turnheim, Präsident des Österreichischen Journalisten Clubs, im Sputnik-Interview diese Richtlinie. Er verweist auf „höherwertige Gesetze als Betriebsvereinbarungen“ wie die Europäische Konvention der Menschenrechte, in denen die Presse- und Meinungsfreiheit verankert ist und zu denen diese Richtlinie im Widerspruch stehe. Deswegen ist sie aus seiner Sicht abzulehnen.
Es handle sich auch um keine journalistische, sondern um eine politische Entscheidung, findet der Präsident des Journalisten Clubs. „Im Prinzip ist es ein Kniefall des Generaldirektors des Österreichischen Rundfunks vor der FPÖ, die jetzt Juniorpartner in der österreichischen Bundesregierung ist. Hier muss man wissen, dass wir in zwei Jahren zu Neuwahlen im Österreichischen Rundfunk kommen werden. Und der Generaldirektor will natürlich Generaldirektor bleiben und will natürlich alles tun, um dem Juniorpartner, der FPÖ, freundschaftliche Gesten zu überbringen. Eine dieser freundschaftlichen Gesten – würde ich ihm mal bösartig unterstellen – ist das Sprechverbot oder Twitterverbot von Journalisten des Österreichischen Rundfunks, von dem ich nichts halte.“
FPÖ: „Wichtig für neutrale Berichterstattung“
„Ich halte es prinzipiell für richtig und notwendig, dass es Regelungen gibt, die Mitarbeiter eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks dazu anhalten, eine äquidistante Haltung zu allen politischen Themen einzunehmen“, setzt dem Hans-Jörg Jenewein, Parlamentarier der FPÖ, entgegen. Als Beispiel führt er die Rundfunkanstalt BBC des Vereinigten Königreichs an. Dort würden Kommentare ähnlich gehandhabt. „Und ich glaube, niemand käme auf die Idee, der BBC vorzuwerfen, dass sie ihren Mitarbeitern einen Maulkorb verpassen möchte“, so Jenewein.
Der FPÖ-Politiker holt noch weiter aus:
„Journalisten, die ihre Tagesfreizeit dafür nutzen, sich zu allen und jeden politischen Themen selbst als politische Akteure in Szene zu setzen, sind nicht unbedingt ein gutes Aushängeschild für einen Öffentlichen Rundfunk, der von Gesetzes wegen zu Neutralität verpflichtet ist.“
Und da gegenwärtig die Sozialen Medien immer mehr an Bedeutung gewinnen, seien strenge Regeln notwendig, damit die Journalisten „keine politisch gefärbte Berichterstattung“ machen.
Journalisten verdanken Follower dem ORF
Der FPÖ-Politiker ist der Ansicht, dass die vielen Follower der Journalisten des Österreichischen Rundfunks (ORF) kein eigener Verdienst seien, sondern sie diese Reichweite dadurch gewännen, dass sie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk angestellt sind. „Wenn so jemand sich dann laufend politisch äußert, muss die Frage gestellt sein, kann er dann noch ehrlicherweise eine politische Unabhängigkeit bei seinen Abend-Interviews an den Tag legen?“, hebt Jerewein hervor. Sein Schluss lautet: „Der Staatsbürger muss Gewissheit haben, dass der Journalist am Abend aus einer äquidistanten Haltung berichtet und dass klar ist, dass private und berufliche Tätigkeiten nicht vermischt werden.“
Behauptungen zu Fake News waren Fake News
Dass der ORF solcher Korrekturen bedürfe, findet Fred Turnheim dagegen nicht. „Alle Fälle, um die es hier geht, sind in Wirklichkeit Fälle, in denen die Freiheitliche Partei versucht hat, ORF-Journalisten unter Druck zu setzen. Was nichts gebracht hat, weil die ORF-Journalisten alles gewonnen haben.“ Der Präsident des Österreichischen Journalisten Clubs macht das an dem Fall fest, als der damalige Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache einem ORF-Redakteur vorwarf, Fake News zu produzieren. „Fake News werden im Prinzip nicht von Journalisten produziert, sondern von den Mächtigen, von den Politikern und ähnlichen, weil die natürlich politisches Interesse haben, Unwahrheiten verbreiten zu lassen“, so Turnheim.
Keine weiteren Kniefälle zu erwarten
Im Übrigen glaubt Turnheim nicht, dass der Richtlinie weitere Kniefälle folgen werden. In den meisten Medien werde der Vorfall mit Ablehnung behandelt. „Im Großen und Ganzen ist die Meinung der Kollegenschaft, dass hier zu weit vorgegangen wurde“, sagt der Präsident des Journalisten Clubs – und beruhigt: „Österreich ist kein Land, in dem die Pressefreiheit in Gefahr ist.“
Dennoch gilt auch hier: Zwar bestehe sie nicht, „die große Gefahr, dass wir mit einer großen Einschränkung der Freiheits- und Grundrechte in Österreich leben müssen“, aber es gelte dennoch vorsichtig zu sein und vor negativen Entwicklungen rechtzeitig zu warnen.
Das Interview mit Fred Turnheim in voller Länge:
Das Interview mit Hans-Jörg Jenewein (FPÖ) in voller Länge:
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