Die Landwirtschaft, das verarbeitende Gewerbe und der Sektor IT/Telekommunikation – für deutsche Unternehmen sind das die Wachstumsbranchen in der russischen Wirtschaft. Über die Hälfte der deutschen Firmen, 52 Prozent, sprechen sich für eine schrittweise Aufhebung der westlichen Anti-Russland-Sanktionen aus – 43 Prozent fordern gar die sofortige Abschaffung der Sanktionen.
Die „einschränkenden Maßnahmen“, wie die Sanktionen auch genannt werden, und der volatile Rubelkurs sind aus der Sicht der deutschen Wirtschaft auch im kommenden Jahr ein Risikofaktor.
„Die Sanktionen führen nach Meinung der in Russland vertretenen deutschen Unternehmen nicht zu den politisch erwünschten Ergebnissen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der AHK, Matthias Schepp, laut dem Magazin. „Es ist deshalb höchste Zeit, dass Russland und Europa an einem Einstieg in den Ausstieg arbeiten. Die neuen amerikanischen Sanktionen verfolgen zudem eindeutig das Ziel, für Amerika wirtschaftliche Vorteile zu erreichen, auch auf Kosten deutscher und europäischer Unternehmen.“
Zudem zeigt die Umfrage laut dem Magazin, dass rund 60 Prozent der deutschen Firmen im Russlandgeschäft eine Stagnation der russischen Wirtschaft befürchteten, 41 Prozent seien jedoch optimistisch.
Bei den Unternehmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, handele es sich „um russische juristische Personen mit ausländischer Beteiligung“, präzisiert Swetlana Dachnenko, Rechtswissenschaftlerin an der Finanzuniversität bei der russischen Regierung, laut dem Magazin. Das sei keine „juristische Spitzfindigkeit“, sondern für das Verständnis der Sachlage wichtig.
Denn Firmen, die bereit sind, mindestens 750 Millionen Rubel (umgerechnet 10 Millionen Euro) in eine Industrieproduktion in Russland zu investieren, erhalten großzügige Ansprüche auf staatliche Förderung: Steuernachlässe, Subventionen, erleichterter Zugang zu öffentlichen Aufträgen, erklärt die Expertin laut dem Magazin.
„Bei der Anschaffung von Landtechnik etwa sind heute je nach Region, in der investiert wird, Subventionen von 15 bis 20 Prozent möglich. Das bringt die Unternehmen dazu, sich umzuorientieren“, sagt die Expertin Dachnenko laut der Zeitschrift.
Das heißt: Statt wie vorher sich nur an der Kostenminimierung und dem Marktvolumen in Russland zu orientieren und nur Vertriebsfirmen zu eröffnen, gründen deutsche Firmen nun auch Produktionen in Russland.
Das liegt nicht zuletzt am schwachen Rubel, der Markteintritt ist für deutsche Firmen dadurch günstiger, schreibt „Expert Online“. Ein Beispiel: Die TUPAG Holding etwa baut Agrarbetriebe in der Region Kaliningrad auf.
Deshalb kann die Umfrage vom OAOEV und der AHK auch als Zeichen für das einsetzende Interesse ausländischer Firmen und Investoren am russischen Markt gewertet werden, sagt der Seniorpartner der Unternehmensberatung Veta, Igor Scharskij, laut dem Magazin. „Es ist unmöglich, Investitionen hochzufahren, und zugleich keine Besserung der Wirtschaftslage zu erwarten.“
Womöglich bereiten die deutschen Verbände mit der Umfrage medial den Boden für künftige Verhandlungen mit der russischen Staatsführung vor, sagt der Experte laut dem Magazin. Dadurch könne die deutsche Wirtschaft Präferenzen für sich in Russland aushandeln. Schließlich seien russische Behörden für einen Dialog mit der deutschen Wirtschaft immer offen, zumal angesichts der Sanktionen.
Dass Investoren Interesse an Russland haben, zeigt laut dem Magazin, der jüngste Verkauf russischer Staatsanleihen. Sie waren gefragt. Der russische Staat hatte zwei Ausgaben kurzfristiger Wertpapiere für insgesamt zehn Milliarden Rubel angeboten. Beim ersten Durchgang übertraf die Nachfrage das Angebot um das Zweieinhalbfache, beim zweiten Durchgang war die Nachfrage dreieinhalb Mal so groß.
Außerdem gibt es in Russland noch die sogenannten Nationalprojekte, deren Umsetzung jetzt beginnt. „Sie werden mitunter kritisiert. In Wirklichkeit sind sie aber ein starkes Instrument wirtschaftliches und gesellschaftliches Instrument“, sagt der Analyst Scharskij. In zwei bis drei Jahren werde man deren erste Ergebnisse sehen.
Die Grundlage dieser Reformen sei „die Stabilität des Wirtschaftswachstums, die durch die konservative Geldpolitik der Regierung in den letzten 20 Jahren erreicht worden ist“, sagte der Experte laut dem Magazin. „Davon profitieren die Wirtschaft und die Gesellschaft. Vielleicht haben ausländische Unternehmen keine ausreichende Expertise, um diese Prozesse zu identifizieren.“
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