„Shell drängt mit Macht ins Geschäft mit erneuerbaren Energien“, meldete die „Frankfurter Allgemeine Woche“ Ende April unter der Überschrift „Ölriese ohne Öl“. Der Bericht nimmt die aktuelle Strategie des niederländisch-britischen Öl-Giganten „Royal Dutch Shell“ unter die Lupe.
Vom „Klima-Killer“ zum „Klima-Freund“?
„Das ist eine profit-orientierte Entscheidung von Shell“, erklärte der Politikwissenschaftler und Rohstoff-Experte Behrooz Abdolvand von der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP) im Sputnik-Interview. Es gehe dem britischen Konzern darum, selbst Strom über erneuerbare Energien zu produzieren und diesen dann an die End-Kunden weiter zu verkaufen. „Der Prozess, Energie und Rohstoffe für die End-Konsumenten zu produzieren, ist sehr risikoreich“, bewertete er das gängige Geschäftsfeld von Shell.
„Aber wenn man Strom produziert und an die End-Verbraucher verkauft, dann sind das risikolose Einnahmen und die Rendite ist auch sehr hoch. Aus dieser Perspektive hat sich Shell dazu entschieden, ebenso wie der Rest der Öl- und Gas-Firmen.“ Es gehe den Öl-Riesen vor allem um die eigene Steuerung und Kontrolle der Stromverteilung, also darum, Profitabilität und Gewinne zu erzielen. Aber auch um einen Image-Wechsel. „Umweltfreundliches Agieren ist gut für das eigene Marketing.“
„Shell“: Bis 2035 weltgrößter Stromversorger?
Laut Abdolvand beschreiten weltweit viele Unternehmen, die hauptsächlich Erdöl und Erdgas produzieren, immer mehr den Weg in Richtung Stromproduzent. „Sie haben sich langsam dazu entschieden, sich von der Öl- und Gas-Produktion in gewissem Maße zu distanzieren.“ Er nannte „British Petroleum“ (BP) als weiteres Beispiel. „BP geht auch mehr in Richtung Stromproduktion.“ Mit Blick auf chinesische Öl-Giganten wie „Sinopec“ sagte der aus dem Iran stammende Energie-Experte: „Ich glaube nicht, dass die Chinesen sich in dieser Art bewegen werden. Weil die meisten chinesischen Firmen staatlich sind, aus dieser Perspektive haben sie einen anderen Auftrag. Aber bei erfahrenen westlichen Unternehmen kann ich mir das sehr gut vorstellen.“
Vor wenigen Wochen gab das westliche Unternehmen Shell bekannt, bis zum Jahr 2035 der weltgrößte Stromversorger werden zu wollen. „Das ist eine Frage der Investitionen“, bewertete der Rohstoff-Experte im Interview.„Mit Sicherheit ist so eine Firma wie Shell in der Lage dazu, den Kapitalmarkt von diesem Geschäft zu überzeugen. Shell ist eine erfahrene Firma im Energiebereich. Sicherlich hat der Kapitalmarkt ein Interesse daran, in diesen Bereichen mit den Öl-Unternehmen zusammenzuarbeiten. Ich denke, das Ziel ist technisch erreichbar.“ Erdöl werde trotz der Kursänderungen weiterhin produziert und konsumiert. „Die Namen der Firmen ändern sich vielleicht. Ein Teil des Öls wird auch in Strom umgesetzt.“ Aber die Stromproduktion in großen Industrieländern werde „mehr und mehr mit erneuerbarer Energie gedeckt. Das sind sichere Märkte. Shell hat eine Strategie entwickelt, die jetzt auch umgesetzt wird.“
„Gazprom“ drängt auch auf den Strom-Markt
Auch andere Öl-Konzerne versuchen mit Hilfe dieser neuen Strategie, langfristig End-Kunden auf dem Strommarkt an sich zu binden. Darunter auch das russische Rohstoff-Unternehmen „Gazprom“.
„Gazprom versucht vor allem, durch seine Gas-Verträge mit deutschen Firmen Zugang zum End-Verbraucher zu finden und seinen Marktanteil zu erhöhen. Deswegen auch Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Oder auch Blue Stream. Dies sind alles Projekte, die die Gasversorgung von Europa betreffen und den Anteil der russischen Produzenten im Gasproduktionsprozess in der Europäischen Union vergrößern.“ Gas werde zu großen Teilen für die Stromgewinnung verwendet. Gazprom versuche dabei, „in Verträgen mit westlichen Firmen den Zugang zum End-Konsumenten zu berücksichtigen.“Bedeutung von Nord Stream 2
Die Entwicklung sei nicht neu. Seit den letzten 20 Jahren peile der russische Öl- und Gas-Riese Gazprom intensiv den europäischen Strommarkt auf Endkunden-Ebene an. „Das ist kein neuer Trend, sondern Teil der strategischen Interessenpolitik von Gazprom.“
„Eine Frage von Preis und Technologie“
Durch die Aktivitäten der Öl-Konzerne im Bereich der erneuerbaren Energien werde „der Energie-Sektor weiter diversifiziert“, zog er ein Fazit. „Der Anteil der erneuerbaren Energien wird weiter steigen. Aber Öl wird trotzdem weiter produziert. Sein Anteil kann variieren. Aber der generelle Trend der Welt ist: Viel mehr Energieverbrauch und mehr Mobilität. Deswegen wird für mehr Mobilität mit Sicherheit auch mehr Öl benötigt. Auch verbessert sich die Technologie.“ Neue Öl-Lagerstätten wie beispielsweise solche unter der Tiefsee könnten bald technisch einfacher und preisgünstiger abgebaut werden. Am Ende seien die Förderung von Öl und die Produktion von Strom „nur eine Frage von Preis und Technologie.“
Das komplette Interview mit Dr. Behrooz Abdolvand (DGAP) zum Nachhören:
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