Karadžić wurde in elf Punkten angeklagt, der wichtigste davon war der Vorwurf des Genozids. So hatte das Kriegsverbrechertribunal bereits vorher das Massaker von Srebrenica 1995 eingestuft. Zudem wurde Karadžić für den Tod von 12.000 Menschen bei der Belagerung von Sarajewo und für andere Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. Während des Prozesses wurden mehr als 400 Zeugen befragt. Die Anklage forderte die Höchststrafe – lebenslange Haft. Im Ergebnis wurde Karadžić zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt.
Das Urteil sorgte für Kontroversen auf dem Balkan – zumal das Datum der Urteilsverkündung mit dem Beginn der Nato-Bombenangriffe auf Jugoslawien 1999 zusammenfiel. Auch die großen Auseinandersetzungen zwischen den Bosniern wurden bis heute nicht überwunden. Viele in Bosnien lebende Muslime und Kroaten halten jede Strafe außer lebenslanger Haft für ein ungerechtes Urteil für Karadžić. In der Republik Srbska wird er hingegen als unberechtigt angeklagt angesehen. Der Präsident der Republik, Milorad Dodik, enthüllte vor wenigen Tagen in einem Studentenwohnheim sogar eine Gedenktafel zu Ehren des ehemaligen Serbenführers.
In Serbien, dessen Premier Aleksandar Vučić im vergangenen Sommer als Versöhnungsgeste an den Nachbar Srebenica besuchte, wird das Urteil ebenfalls unterschiedlich aufgenommen. „Der Gerichtprozess gegen Karadžić war bereits vor seinem Beginn beendet“, sagte der Justizminister der Republik, Nikola Selaković. „Doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt, weil diejenigen, die den Bosnien-Konflikt in einem größerem Ausmaß gefördert hatten, entweder nicht vor Gericht gestellt wurden oder der Strafe entgingen.“ Das neue Urteil des Tribunals würde kaum zum Sieg der Gerechtigkeit und Versöhnung in der Region führen. Viele serbische Experten sind damit nicht einverstanden. „Man soll nicht auf andere verweisen“, meint der serbische Experte Čedomir Čupić. Für jedes Volk sei es am wichtigsten, dass die Verbrecher bestraft werden.
Experten zufolge ist es noch ein weiter Weg zur Umsetzung eines der Hauptziele der internationalen Justiz – einer völligen Versöhnung der Völker Bosniens. „Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien hat nicht das getan, was es hätte tun sollen – der Bevölkerung des Balkan mit Fakten zu helfen, das Geschehene in der Region anders wahrzunehmen“, meint der bosnische Politologe Srđan Puhalo. Doch daran sei nicht nur das Tribunal schuld. Verantwortlich dafür seien auch die einheimischen Eliten, die zugunsten günstiger politischer Dividenden Ereignisse manipulieren, ihren Völkern damit einen „Bärendienst“ erweisen und Voraussetzungen für künftige Konflikte schaffen, so der Experte.
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