In der vergangenen Woche bot Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg seine Dienste als Vermittler an, damit eine Delegation des Bundestags den türkischen Fliegerstützpunkt in Konya besuchen könnte, wo Bundeswehrsoldaten zur Terrorbekämpfung im benachbarten Syrien stationiert sind. Bis zuletzt hatte Ankara den deutschen Parlamentariern die Einreisegenehmigung verweigert.
Zuvor hatte Berlin bereits beschlossen, seine Militärs von der Nato-Basis Incirlik abzuziehen, und zwar aus demselben Grund: weil deutsche Abgeordnete sie dort nicht besuchen durften.
Aber selbst wenn die Nato-Vermittlung Erfolg haben sollte, wäre der Konflikt zwischen Berlin und Ankara nicht sofort vom Tisch: In den letzten Wochen haben sich die gegenseitigen Beziehungen dermaßen angespannt, dass der türkische Botschafter in Berlin sogar in das deutsche Auswärtige Amt bestellt wurde. Einer der wichtigsten Gründe dafür wurde die Festnahme von 22 Bundesbürgern in der Türkei wegen der Vorwürfe, Kontakte mit Terroristen unterhalten zu haben. Neun von ihnen bleiben immer noch in Haft.
Angesichts dessen kündigte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel eine Korrektur der Türkei-Politik Berlins an. Dabei war das nicht mehr nur eine verbale Eskapade: Unter anderem warnte Gabriel, dass die Bundesregierung weitere Investitionen in der Türkei nicht mehr garantieren könne, und warnte die Bundesbürger, bei ihren Türkei-Reisen besonders vorsichtig zu sein. Laut einer entsprechenden Umfrage von Spiegel Online schließen 92 Prozent der Deutschen angesichts dessen aus, dass sie in die Türkei in den Urlaub reisen.
Der in Ankara lebende Experte des Russischen Rats für auswärtige Angelegenheiten, Timur Achmetow, vermutet, dass die türkische Seite dem Besuch der Bundestagsabgeordneten nach der Einmischung Stoltenbergs zustimmen werde, aber nicht über Nacht, denn ein sofortiger Sinneswandel Ankaras könnte dem Image der Staatsführung schaden. „Das würde bedeuten, dass die bisherige Konfrontation umsonst war“, so der Politologe. Nach seinen Worten sind die türkischen Behörden überzeugt, dass Berlins Position vor allem durch den innenpolitischen Faktor, und zwar die baldige Bundestagswahl bedingt ist.
„Einfache Türken verstehen nicht, warum Deutschland und die EU-Führung ihr Land für dessen Methoden der Terrorbekämpfung kritisieren. Nach ihrer Auffassung ist die Gefahr seitens des Islam-Predigers Fethullah Gülen durchaus real“, so Achmetow.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf seinerseits Berlin „Doppelstandards, Druck und Drohungen“ vor und betonte, dass Deutschland „erst seine Spione in die Türkei schickt und sich dann über deren Festnahme beklagt“.
Dass Gabriels Kritik an Ankara nicht nur außenpolitische Ziele verfolgt haben könnte, hatte zunächst Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin gesagt: „Solche Aussagen lassen sich auf die bevorstehende Wahl und den Versuch zurückführen, die Debatte in die innenpolitische Ebene zu lenken. In Deutschland ist so etwas in letzter Zeit ein Trend, und wer solche Aussagen macht, glaubt, dadurch innenpolitisch Punkte sammeln zu können.“In der Bundesrepublik ist das Thema Konfrontation mit Ankara zwei Monate vor der Bundestagswahl tatsächlich eines der wichtigsten Themen geworden. Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Martin Schulz verlangte von der Kanzlerin Angela Merkel, nicht nur Ankara zu verurteilen, sondern auch ein anderes Problem, den andauernden Flüchtlingsansturm, endlich nicht mehr zu ignorieren. Allein laut offiziellen Angaben sollen in diesem Jahr mehr als 90 000 Zuwanderer aus der Türkei nach Deutschland gekommen sein.
Dabei könne Berlin es sich nicht leisten, sich mit Ankara endgültig zu zerstreiten. Trotz aller Kontroversen bleibe die Türkei für Deutschland ein wichtiger Partner auf Gebieten wie Sicherheitspolitik, Terrorbekämpfung und Wirtschaftskooperation, geht aus dem jüngsten Bericht der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) hervor.
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