In der bilateralen Wirtschaftskooperation gibt es viel Nachholbedarf. Die Verhandlungen über die Freihandelszone zwischen beiden Ländern hatte noch das Team des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Jahr 2011 begonnen, aber nach dem Machtwechsel in Kiew gerieten sie ins Stocken. „Erdogan entschied sich für eine Warteposition gegenüber dem ‚Maidan‘ und der neuen ukrainischen Macht“, sagte eine Quelle. Ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen begann erst im März 2015, als Erdogan zu einem Arbeitsbesuch nach Kiew kam. Damals erklärte er, Ankara würde die territoriale Integrität der Ukraine befürworten.
Die Frage bezüglich der Freihandelszone bleibt allerdings immer noch offen, obwohl sie sowohl für die Ukraine, die den russischen Markt verloren hat, als auch für die Türkei wichtig ist, die schwere Zeiten in den Beziehungen zum Westen erlebt. Der ukrainische Wirtschaftsexperte Wladimir Wolja sagte dazu: „Ich denke, nach der Abkühlung der Beziehungen zum Westen sucht Erdogan nach neuen Absatzmärkten und neuen energiewirtschaftlichen Möglichkeiten.“ Auch die Ukraine sei für Ankara in diesem Sinne wichtig, betonte er.
Laut statistischen Angaben erleben die Handelsbeziehungen zwischen Kiew und Ankara eine Talfahrt. Erdogan hatte aber unlängst erklärt, der Handelsumsatz sollte auf ein Niveau von 20 Milliarden Dollar pro Jahr ausgebaut werden. Einige Experten zweifeln jedoch, ob dies für die Ukraine günstig wäre. Der Ökonom Wsewolod Stepanjuk verwies darauf, dass die Türkei ein großer Konkurrent für sein Land auf dem globalen Markt und daran interessiert sei, in der Ukraine vor allem Rohstoffe zu kaufen, diese zu verarbeiten und fertige Produkte auf den Weltmarkt zu bringen.
„Wir haben beispielsweise keine Importzölle für Waren aus der Türkei, während es dort Importzölle für Produkte aus der Ukraine gibt. Und falls diese aufgehoben werden, würden die Türken nur unsere Rohstoffe kaufen und Waren mit einem großen Mehrwert nur bei sich herstellen“, so Stepanjuk.
Noch schwieriger ist die Situation in der Energiewirtschaft. In Kiew macht man sich Sorgen um den Bau der Pipeline Turkish Stream, durch die russisches Erdgas unter Umgehung der Ukraine nach Europa befördert werden könnte. Der Leiter des Konzerns „Naftogas Ukrainy“, Andrej Kobolew, erklärte im September, der südliche Teil des ukrainischen Pipelinenetzes würde dadurch nicht mehr konkurrenzfähig sein können.
Auch Ankaras Position zu den internationalen antirussischen Sanktionen ist ein heikles Thema. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erklärte im August: „Die Sanktionen unserer Nachbarn und Partner haben unserer Wirtschaft sehr geschadet. (…) Wir suchen nach anderen Wegen zur Lösung von Problemen.“
Im Grunde versucht Erdogan, zwischen Russland und der Ukraine zu lavieren. Die türkische Zeitung „Daily Sabah“ schrieb vor kurzem: „Die Türkei versucht, die Kontakte sowohl zu Kiew als auch zu Moskau aufrechtzuerhalten. Und es gelingt ihr auch, ein Gleichgewicht zu erreichen. Aber diese Balance ist ziemlich instabil.“
Der ukrainische Politologe Wolja sagte: „Die Türkei unterstützt nicht die Krim-Annexion, aber auch die Russland-Sanktionen unterstützt sie nicht.“ Der Experte zeigt sich gespannt, was Erdogan in Kiew nach seinem jüngsten Treffen mit Wladimir Putin sagen würde
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